Thomas Bürki, EnAW
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«Wir haben eine Liste der 64 gängigsten Ausreden gegen Nachhaltigkeit»

Thomas Bürki, Mitbegründer der Energie-Agentur der Wirtschaft, spricht im Interview über die häufigsten Gründe, warum es bei produzierenden Unternehmen mit der Nachhaltigkeit harzt. Und er zeigt Schritte auf, wie KMU die Ressourceneffizienz steigern können und damit nachhaltiger werden.

Herr Bürki, Sie beschäftigen sich seit 25 Jahren mit Ressourceneffizienz. Welche Rolle spielt denn Nachhaltigkeit im KMU-Alltag?

Thomas Bürki: Nachhaltigkeit spielt bei KMU häufig noch eine untergeordnete Rolle, vor allem, weil die Problemwahrnehmung im Topmanagement fehlt. Zudem fehlt meistens schlicht das Wissen, was Nachhaltigkeit ist und mit welchen Massnahmen sich das Unternehmen in diese Richtung entwickeln kann. Das hängt auch mit den meist kleinen Personalressourcen zusammen. Dann wird oft Zeit als Mangelware angegeben. Beides sind aber Ausreden. Nachhaltigkeit ist eine Marktanforderung, die langfristig jedes Unternehmen erfüllen muss.

Welchen weiteren Ausreden begegnen Sie im Arbeitsalltag?

Wir haben inzwischen eine Liste der 64 gängigsten Ausreden: Das haben wir noch nie so gemacht, das haben wir schon immer so gemacht, das rechnet sich nicht und so weiter. Oftmals kaschieren diese Ausreden aber nur, dass die Leute die Prozesse im eigenen Unternehmen nicht genau kennen und beherrschen. Eine systematische Analyse der Produktionsprozesse fehlt. Ein Unternehmer sagte mir bei einer Beratung einmal, man müsse die verwendeten Rohstoffe auf jeden Fall trocknen. Bei der Begehung stellte sich heraus: Die Trocknungsanlage war schon seit längerer Zeit nicht mehr in Betrieb. Man muss sich als Unternehmer eingestehen, dass man nicht perfekt ist – und kontinuierlich nach Verbesserungen streben muss. Oft passiert das nicht, zum Beispiel aus Angst – oder Eitelkeit.

Mit welchem Satz überzeugen Sie ein skeptisches KMU, Nachhaltigkeit zu einem elementaren Bestandteil seines Business-Modells zu machen?

Das hängt vom jeweiligen KMU ab. Am einfachsten ist es, hervorzuheben, dass die Produktivität im Unternehmen steigt. Man bekommt also einen Kostenvorteil. Bei anderen reicht es, den Vergleich zur Energieeffizienz und deren Erfolg zu ziehen und auf die heutigen Probleme mit der Gas- und Stromversorgung zu verweisen. Hier fliegt den Leuten aktuell um die Ohren, was sie in den letzten 10 bis 20 Jahren in Sachen Energieeffizienz versäumt haben. Bei der Ressourceneffizienz funktioniert es genauso. Ende Juli war der Earth Overshoot Day (der Tag, an dem die Menschheit die jährlich verfügbaren natürlichen Ressourcen ausgeschöpft hat; die Redaktion), seither leben wir weltweit über dem nachhaltigen Ressourcenverbrauch. Phosphor zum Beispiel ist fast erschöpft, sauberes Wasser wird folgen, am Horizont erscheinen Probleme beim Lithium usw. Setzt man sich als Unternehmen nicht mit der Nachhaltigkeit auseinander, ist die Existenz des Unternehmens schnell bedroht.

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Welche Massnahmen kann jedes KMU sofort treffen?

So trivial ist es leider nicht. Man kann zum Beispiel nicht einfach sagen, wir reduzieren den Abfall. Die beste Sofortmassnahme ist, die Materialflüsse im Unternehmen zu analysieren, die Schwachstellen zu identifizieren und phasenweise Verbesserungsmassnahmen zu realisieren. Entgegen der verbreiteten Meinung ist das keine einmalige Sache. Dieser Fehlannahme begegne ich immer wieder. Es muss zur Unternehmensphilosophie werden, die Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit kontinuierlich zu verbessern.

Sind dafür grundlegende Veränderungen nötig, wird es komplex. Wo fängt man an?

Dass es komplex wird, ist ein grosser Fehler in der Wahrnehmung. Eine Prozessanalyse ist sehr simpel. Man geht hin und schaut systematisch, was in einem Unternehmen passiert und wo es Schwachstellen gibt. Man geht dabei vom Grossen ins Kleine, von der Grob- zur Feinanalyse: Wo gibt es Schwachstellen und wieso treten diese auf? Gibt es geänderte Betriebsparameter, die zu Verbesserungen führen? Wo gibt es inzwischen bessere Technologien usw? Die Energie-Agentur der Wirtschaft (EnAW) bietet an, diesen Prozess standardisiert zu begleiten.


Aufzeichnung Swisscom Business Days: Nachhaltigkeit in KMU

Über Thomas Bürki

Dr. Thomas Bürki, dipl. Masch.-Ing. ETH, ist seit 40 Jahren tätig in den Bereichen Prozessanalysen und -verbesserungen sowie CO2-Reduktion in der Industrie, im Dienstleistungssektor und in KMU. Er leitete von 1990 bis 2000 das Ressort «Industrie und Grossverbraucher» im nationalen Aktionsprogramm Energie 2000 und war anschliessend Mitbegründer der Energie-Agentur der Wirtschaft (EnAW). Er führt ein Ingenieurbüro für Energieeffizienz und CO2-Reduktion und ist in Projekten im In- und Ausland tätig.

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