IoT-Ecosysteme 

Allein bleibt IoT immer klein


Das grösste Hindernis für IoT ist selten die Technologie, sondern die Kultur. IoT-Vorhaben erfordern Partnerschaften und deren Basis ist Vertrauen. Julian Dömer, Head of IoT von Swisscom, fordert daher eine Öffnung der Anbieter und wittert die Chance für klug gebaute Ecosysteme.


Text: Hansjörg Honegger, Bilder: Daniel Brühlmann, 18. Dezember 2018




IoT ist zum Teil noch Zukunftsmusik. Von welchem Projekt träumen Sie?


Julian Dömer: Von einem voll digitalen Gebäude. Ich suche oft nach Räumen, Kaffeemaschinen, Druckern oder vergesse unabsichtlich das Licht zu löschen beim Hinausgehen. Ein Gebäude, das mich, meine Gewohnheiten und meinen Terminkalender kennt – das wäre mein Traum.


Im Ansatz gibt es solche Lösungen heute schon.


Ja, aber oft nur als Einzellösungen. Die Schwierigkeit liegt in der Fragmentierung des Bereichs. Das Facility Management hat nichts mit der Stelle zu tun, die Räume reserviert, und diese wiederum kennt vielleicht den Verantwortlichen für den Drucker nicht. All diese Dienstleister müssten für ein visionäres IoT-Projekt zusammenarbeiten.


Das hiesse, dass IoT-Projekte im Moment eher an der mangelnden Durchgängigkeit scheitern und nicht an der Technologie. Müssten sich die Anwenderunternehmen anders aufstellen?


Nein, es ist die Anbieterseite, die sich neu aufstellen müsste. Nehmen wir die herstellende Industrie, die in Sachen Internet der Dinge schon sehr weit ist. Wer hier eine IoT-Lösung einführen will, blickt auf eine breite Palette von potenziellen Partnern: Lieferanten von Maschinen und Rohmaterial, Programmierer von Software – ERP, Maschinensteuerung usw. – Netzwerker, Unterhalt und andere Beteiligte. All diese Parteien müssen zusammenarbeiten, damit ein IoT-Projekt zum Fliegen kommt.


Julian Dömer im Interview

Sie sprechen von Ökosystemen?


Genau. Auf Anbieterseite braucht es eine bewusste Öffnung, damit interessante Projekte lanciert werden können. In den letzten Jahren haben wir die naheliegenden IoT-Projekte umgesetzt, beispielsweise das automatische Auslesen des Stromzählers. Jetzt wird es komplizierter.


Inwiefern?


Die beteiligten Firmen müssen nicht nur an einem Strick ziehen, sie müssen auch die richtigen Leute einsetzen.


Wo liegt die Rolle der Swisscom?


Wir sind Plattform-Anbieter. Das können wir richtig gut: Wir haben die Infrastruktur, die skaliert, wir beherrschen den Betrieb. Uns fehlt aber oft das Verständnis für die Business-Logik im Detail. Dafür braucht es Spezialisten. Denen wiederum fehlt häufig das Verständnis für den Plattformbetrieb. Daraus entsteht eine Win-Win-Situation.



Wer bringt das Ökosystem zusammen?


Das ist häufig Swisscom, was aber durchaus logisch ist: Dank unserer Grösse und der dichten Vernetzung mit der Schweizer Wirtschaft kennen wir die Kunden. Andererseits sind wir auch mit den potenziellen Partnern vertraut. Wir bringen Plattformen, Menschen, Fähigkeiten und Teams zusammen. Das geht, weil wir von allen Seiten sehr viel Vertrauen geniessen.


Was passiert, wenn mal was schief geht? Wer steht dann für das Scheitern gerade?


Engagement in neue Technologien impliziert immer die Möglichkeit des Scheiterns. Dann sollte nicht in erster Linie nach Schuldigen gesucht werden, sondern nach den Gründen für das Scheitern. Aus diesen Learnings entsteht Neues.


Julian Dömer im Interview

Sie agieren in einem Umfeld, das extrem schnelllebig ist. Kann der schnelle Wechsel von Technologien und Standards ein Grund für das Scheitern von IoT-Projekten sein?


Nicht unbedingt. Mit IoT-Projekten werden Dinge, die sich über Jahre eingespielt haben, anders gelöst. Für so ein Vorhaben bin ich auf die Expertise aus ganz unterschiedlichen Bereichen angewiesen. Ich brauche zwei fundamentale Fähigkeiten: einerseits die Offenheit, Etabliertes zu hinterfragen und zu ändern. Andererseits das Vertrauen gegenüber Drittpersonen, die eigene Leistungen einbringen. Nicht immer ist hier der optimale Mix garantiert. Es scheitern viele IoT-Projekte, weil es an einer gemeinsamen Kultur mangelt. Stimmt die Chemie in so einem Team nicht, wird es enorm schwierig. Um erfolgreich IoT-Projekte in einem Ökosystem umzusetzen, braucht es einen Kulturwandel in den Betrieben.


Und doch: Bei vielen Zulieferern wird beispielsweise der Standard-Wildwuchs im IoT-Bereich zum Hindernis.


Ja, das ist ein Problem. Laut Marktanalysten existieren heute 450 bis 600 verschiedene IoT-Plattformen weltweit. Aber das Problem ist erkannt und im Moment findet eine Standardisierung der Protokolle und Plattformen statt. Wir befinden uns etwa auf der Hälfte es Weges.


Wäre es dann nicht besser für die Anwenderunternehmen, diese Entwicklung noch abzuwarten?


Einerseits hängt diese Entscheidung vom Lifecycle beispielsweise der Produktionsanlage ab. Man wird nicht für ein IoT-Projekt einfach eine neue Fabrik auf der grünen Wiese hinstellen. Andererseits braucht es eine gewisse Risikobereitschaft, ohne die man unter Umständen den Anschluss verpasst.


Wie stösst man als Unternehmer ein solches Projekt konkret an?


Man ruft mich einfach an (lacht). Nein, im Ernst: Ein erster Schritt ist die genaue Kenntnis der eigenen Schwächen. Daraus lassen sich Business-Cases ableiten. Hilfreich ist häufig ein externer Blick auf die Problematik. Hier kommt Swisscom ins Spiel.


Kann Swisscom gegen die internationale Konkurrenz bestehen?


Im Gegensatz zu den weltweiten Anbietern hat Swisscom den Vorteil, noch klein genug zu sein. Unsere internen Experten kennen und vertrauen sich und gehen offen miteinander um. Sie haben das gleiche Verständnis von Arbeitskultur, wohnen in derselben Region und sprechen dieselbe Sprache wie unsere Kunden. Das schafft gegenseitiges Vertrauen und dadurch ist eine ganz andere Zusammenarbeitskultur möglich. Dazu kommt die einzigartige Bandbreite an Know-how, die es ermöglicht, Silos aufzubrechen und fachübergreifend alle Experten an einen Tisch zu bringen.


Julian Dömer im Interview

Trotz allem: IoT-Security ist noch immer eine grosse Herausforderung.


Es gilt hier klar zu unterscheiden, wo die Daten fliessen. IoT-Cases, die übers Internet abgewickelt werden, müssen sehr genau analysiert werden: Welche Geräte und Steuerungen werden eingesetzt? Wer hat Zugriff? Welche Daten werden transportiert? Hier ist das Risiko – Stichwort DDoS – tatsächlich recht gross. Der überwiegende Teil unserer IoT-Projekte – mittlerweile bereits weit über 500 – läuft über private Netze. Wir tun extrem viel, um diese Netze zu schützen. Dieser Ansatz gibt gleich eine ganz andere Basis in punkto Sicherheit.


Wie entwickelt sich das IoT-Business in den nächsten Jahren?


In der ersten Welle, die jetzt langsam zu Ende geht, ging es um die Vernetzung. Wir stehen am Anfang der zweiten Welle, in der viele neue Business-Cases entstehen werden, die über die Vernetzung hinausgehen. Ich wage zu behaupten, dass IoT in fünf Jahren einen genauso grossen Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft haben wird, wie die Smartphone-Technologie in den letzten 10 Jahren.


Swisscom Enterprise IoT


Enterprise IoT von Swisscom vereint verschiedene Zugangstechnologien, Plattformen und ein grosses Ökosystem. Dank eines modularen und technologieunabhängigen Ansatzes können Kunden IoT-Objekte einfach vernetzen, verwalten, IoT-basierte Daten sinnvoll verarbeiten und so ihr Geschäft weiterbringen. Swisscom bietet zudem den Zugang zu einem etablierten IoT-Ökosystem und weitere Bausteine wie Cloud- Security- oder Data Analytics-Lösungen, um IoT ganzheitlich zu realisieren. Swisscom blickt als IoT Pionier auf 15 Jahre Erfahrung zurück.

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Julian Dömer


Julian Dömer ist studierter Betriebswirt und sammelte während und nach seinem Studium erste Berufs- und Projekterfahrung in der Pharmaindustrie. Gestartet als Projektleiter bei einem Anlagenbauer, wechselte er in die Beratung und betreute als Business Developer globale Kunden mit dem Schwerpunkt Regulierung und Zertifizierung. 2011 stiess er zu Swisscom, wo er im Produktmanagement die Entwicklung der IP-basierten Breitbandprodukte für KMUs mitgestaltete. Ab 2014 leitete er gemeinsam mit der Innovationsabteilung von Swisscom die Entwicklung von SDN/NFV-basierten Netzwerkprodukten. Dabei sammelte er umfangreiche Erfahrungen in der agilen Software-Entwicklung und der damit verbundenen Transformation im Telekombereich. Julian Dömer übernahm anfangs 2017 in der Abteilung Mobile Business Solutions im Grosskundenbereich die Verantwortung für die Entwicklung von 5G und war bis Oktober 2018 Head of Innovation. Aktuell agiert er bei Swisscom Enterprise Solutions als Head of IoT.


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