Bald ohne App? So will uns der Bund in Zukunft vor Katastrophen warnen

Die Alarmierung der Bevölkerung bei Krisen steht vor einem Wandel: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (Babs) führt eine «Multikanal-Strategie» ein, um auf Ereignisse wie Naturkatastrophen oder Terroranschläge besser reagieren zu können. Dabei spielt das Smartphone – auch ohne Alertswiss-App – eine Schlüsselrolle.

Ein Handy zeigt die Alertswiss-App mit einem Warnkreis. Im Hintergrund sind eine Überschwemmung, Sandsäcke und Rettungskräfte in einem Schlauchboot zu sehen.

Schnelle Warnung, schnelle Hilfe: Information kann Leben retten.
Bildquelle: Adobe Stock/impact agentur

Das Notfallradio (UKW) steht auf der Kippe. Der Bundesrat möchte künftig auf dieses teure und veraltete System verzichten. Private dürfen aber noch bis Ende 2026 auf UKW senden und solange wird auch das Notfallradio noch betriebsbereit gehalten.

Noch in keiner Krisensituation tatsächlich zum Einsatz gekommen, wissen wahrscheinlich ohnehin nicht mehr viele, was das Notfallradio überhaupt ist.

Hinzu kommt: Immer weniger Menschen hören Radio oder schauen (lineares) Fernsehen. Lange konnte der Bund über diese Kanäle so gut wie alle Menschen der Schweiz einfach und schnell erreichen und über einen, allfälligen Notfall in Kenntnis setzen. Das hat sich geändert.

Gemäss einer Erhebung von Statista besassen im Jahr 2023 rund 96% der Schweizer Bevölkerung ein eigenes Handy. Demnach ist, wenig überraschend, die Alarmierung per Smartphone heute naheliegender und praktikabler, wenn nicht gar essenziell.

Informationsfluss im Ernstfall

Die Information und Alarmierung der Bevölkerung sind zentrale Aufgabe des Bevölkerungsschutzes und muss durch den Bund und die Kantone sichergestellt werden.

Um die Bevölkerung im Krisenfall zu alarmieren, braucht es also zeitgemässe Methoden, welche unserem heutigen Medienverhalten Rechnung tragen. Mit der Digitalisierung eröffnen sich neue Möglichkeiten, die Menschen in einem Notfallszenario zu erreichen.

Reichweite erhöhen

Sicher, die (regelmässig getesteten) 5000 stationären und 2200 mobilen Sirenen funktionieren gewissermassen zeitlos. Und auch die Alarm-App Alertswiss kann Leben retten und steht im internationalen Vergleich gut da (auch wenn Sie im Jahr 2024 durch einen Übersetzungsfehler vor einem Vulkanausbruch im Wallis gewarnt hat).

Das Babs (Bundesamt für Bevölkerungsschutz) will die Alertswiss-Website und -App weiterentwickeln, etwa um künftig auch verbesserte barrierefreie Inhalte zur Verfügung zu stellen. Was die App betrifft, gibt es aber ein grundsätzliches Problem:

Alertswiss hat mit etwa 2.2 Millionen Downloads eine zu geringe Reichweite. Zur Orientierung: Gemäss dem Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) liegt die Gesamtanzahl abgeschlossener Mobilfunkverträge in der Schweiz bei 10’899’996 (Stand 2022).

Entsprechend können fast 80% der Menschen mit einem Handy (wie bereits erwähnt sind dies 96% der Gesamtbevölkerung) zurzeit mit der Alertswiss-App nicht erreicht werden.

Auch Touristen können so, bis jetzt, nicht gewarnt und über mögliche Gefahren informiert werden.

Deshalb möchte der Bund nun seine Multikanal-Strategie um ein weiteres Tool ergänzen und so die Reichweite erhöhen – wie es schon seit geraumer Zeit von verschiedenen Seiten gefordert wird.

 «Neues» Warnsystem

Die Schweiz hat im Juni 2023 entschieden, «Cell Broadcast» zur Alarmierung der Bevölkerung einsetzen zu wollen. Ein entsprechender parlamentarischer Vorstoss wurde bereits 2021 eingereicht. Das zuständige Bundesamt rechnet mit Kosten von rund 310 Millionen Franken zwischen 2026 und 2035.

Cell Broadcast ist ein seit 1999 eingesetzter Mobilfunkdienst, der das Rundsenden von kurzen Warnmeldungen (ca. 500 Zeichen) direkt an alle Mobiltelefone innerhalb einer Funkzelle ermöglicht. So kann die Bevölkerung, oder Teile davon, im Notfall gezielt und unabhängig von einer allfälligen Netzüberlastung alarmiert werden. Dazu ist keine App nötig.

In einem Notfall würde der Bund also die Mobilfunkanbieter – insbesondere Swisscom – alarmieren, welche dann über einzelne Antennen vorgefertigte Warnungen verschicken. Dieser Alarm wird von allen Handys empfangen, die eingeschaltet und im betroffenen Gebiet sind.

Die Bevölkerung kann so präziser alarmiert werden, weil nur Leute, die sich in einem betroffenen Gebiet befinden, eine Push-Meldung bekommen. Ziel ist es, in Zukunft alle verfügbaren Kanäle inklusive «Cell Broadcast» situativ passend einzusetzen.

Gefälschte Warnungen?

Solche Technologien bergen natürlich auch Risiken, z.B. wenn es um Datenschutz oder Falschmeldungen geht. Auch wenn es als unwahrscheinlich gilt, dass Kriminelle sich in die Bundesalarmzentrale hacken, könnte es dennoch sein, dass ähnlich wie beim Phishing, gefälschte Textnachrichten gestreut würden.

Der Bund überlegt sich deshalb, nebst des alljährlichen Sirenen-Probealarms, künftig auch einen Handy-Probealarm durchzuführen, um die Bevölkerung zu sensibilisieren. Denn wer genau weiss, wie eine Alarm-Nachricht des Bundes aussieht, kann diese auch leichter von einer gefälschten Warnung unterscheiden.

Notfalltreffpunkte

Auch eine Weiterentwicklung des Konzepts der Notfalltreffpunkte ist vom Babs geplant, da dieses noch nicht in allen Schweizer Kantonen umgesetzt wird.

Am Notfalltreffpunkt erhalten Sie im Ereignisfall Informationen und Unterstützung. Das Bundesamt prüft auch Möglichkeiten an diesen Notfalltreffpunkten WLAN und Lademöglichkeiten für Mobiltelefone zur Verfügung zu stellen.

Auf notfalltreffpunkt.ch finden Sie Ihren nächstgelegenen Treffpunkt.

Leider lassen sich Verletzte und Tote im Katastrophenfall nicht immer verhindern. Risiken können aber minimiert werden, wenn die Systeme der Bevölkerung bekannt sind.

Information kann Leben retten.

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