Predictive Analytics

Wie Unternehmen mit Predictive Analytics einen Mehrwert generieren


Gezielte Datenauswertungen ermöglichen Prognosen für künftige Geschäftsereignisse. Predictive Analytics hilft heute in den unterschiedlichsten Branchen, beispielsweise Produktionsbedingungen, Geldflüsse oder Lagerbestände besser planen zu können. Unsere konkreten Beispiele zeigen, welches Potenzial in der prädiktiven Modellierung von Daten steckt.


Text: Felix Raymann, Bilder: ©Alamy, Strandperle, Schweizerische Nationalbank, 24




Mit Hilfe historischer Daten zukünftige Ereignisse und Trends vorhersagen – darum geht es bei Predictive Analytics (PA). In gesammelten Unternehmensdaten stecken viele Informationen, die manuell kaum extrahiert, in der automatisierten Analyse jedoch schnell gefunden und verwertet werden können. «Viele Unternehmen aus praktisch allen Branchen können von Predictive Analytics profitieren. Überall dort, wo Prozesse mit vielen Wiederholungen ablaufen, entstehen mit der Datensammlung über die Zeit viele verwertbare Informationen, mit denen sich Prognosen erstellen lassen», sagt Martin Gutmann, Leiter Analytics & Data Consulting bei Swisscom. Das kann fast überall der Fall sein – etwa im Handel, im Umgang mit IoT oder Machine Learning, bei der Berechnung von Geldflüssen, bei der Personalplanung und der Risikoerkennung oder in der industriellen Produktion und in der Wartung von Maschinen.

So wirft ein Logistik-System viele Daten ab, die sich für eine Ressourcenplanung nutzen lassen. Jeder Tag, den ein Produkt im Lager verbringt, kostet Geld. Ohne Optimierung sind die Lager meist zu voll, da man keine Lieferverzögerungen riskieren möchte. «Wir sind mit diversen KMU im Gespräch, die ihre Lagerbewirtschaftung mit Predictive Analytics optimieren möchten. Mit systemgestützten Forecasts lassen sich Lagerbestände viel genauer planen, wodurch enorme Einsparungen gemacht werden können», betont Gutmann. Die Lagerbewirtschaftung ist nur ein Beispiel unter vielen. Die zwei folgenden Beispiele zeigen auf, wie Swisscom Predictive Analytics konkret und mit Erfolg einsetzt:


Beispiel 1: Den Cashflow mittels Prognosen optimieren

Die Treasury-Abteilung nimmt innerhalb von Swisscom die Rolle einer Inhouse-Bank ein und ist unter anderem verantwortlich für die Liquiditätsplanung des gesamten Konzerns. Die Abteilung ist an das Datenanalysten-Team von Swisscom herangetreten mit dem Bestreben, die Geldflüsse besser planen zu können. In der Optimierung des Geldflusses steckt grosses Sparpotenzial. Täglich kommen aufgrund der an die Privatkunden versandten Rechnungen im Durchschnitt 30 Millionen Franken auf das Konto. Doch an welchem Tag genau wie viel Geld kommt, wissen die Verantwortlichen der Treasury-Abteilung nicht im Voraus. Das Wissen über diese Kontoeingänge ist insofern wichtig, weil die liquiden Mittel nicht zu hoch, aber auch nicht zu tief sein sollen. Das Liquiditätsminimum liegt derzeit bei 50 Millionen Franken, auf die 1.6 Prozent Zinsen anfallen. Fakt ist: Wenn die täglichen Eingänge genauer vorhergesagt werden können, lassen sich das Liquiditätsminimum und somit die Kosten stark senken.





Deshalb erstellen die Swisscom Datenanalysten aktuell für jeden Tag eine Prognose, wie hoch die Zahlungseingänge mit einer hohen Wahrscheinlichkeit sein werden. Diese Resultate kommen folgendermassen zustande: Durch die Analyse der Datenbestände aus den vergangenen Monaten können die Analysten Zusammenhänge und beeinflussende Faktoren zwischen Zahlungseingängen und anderen Faktoren ausfindig machen. Dabei werden unterschiedliche Datenquellen verwendet und Variablen definiert. Es wird beispielsweise berücksichtigt, ob im untersuchten Zeitraum Feiertage oder Ferienzeiten liegen, ob ein untersuchter Tag eher am Anfang oder am Ende eines Monats liegt, um welchen Wochentag es sich handelt und so weiter. Je mehr solcher Faktoren berücksichtigt werden, umso genauer kann der Zahlungsfluss für einen bestimmten Tag oder für Zyklen mehrerer Tage vorausgesagt werden.

Swisscom Treasury hat bis vor kurzem noch manuelle Prognosen erstellt, um den Geldfluss vorauszuplanen. Dank Erfahrung und historischen Werten aus 20 Jahren erreichte man früher eine Abweichung von plus/minus 5 Millionen Franken bezüglich der im Durchschnitt täglich einbezahlten 30 Millionen. Diese Berechnungen wurden laufend mit rudimentären Excel-Tabellen mit lediglich zwei Variablen erstellt. Die neuen Vorhersagen durch Algorithmen sind nicht nur schneller, sondern auch präziser: Mit der neuen Methode können diese Abweichung nun pro Tag auf 3 Millionen reduziert werden, was wegen der Zinsen Einsparungen von jährlich rund 30'000 Franken bedeutet. Das ist zwar keine Riesensumme, doch zeigt das Beispiel, dass Swisscom Treasury mit diesem kleinen Projekt und geringstem Aufwand die Planung optimieren konnte. Der hauptsächliche Gewinn ist jedoch, dass der gesamte manuelle Analyseaufwand nun entfällt.

Mit der Zeit lernt das System ständig hinzu: Swisscom Treasury liefert monatlich die tatsächlichen Zahlen der Einzahlungen an die Datenanalysten, welche die Daten zur Verbesserung des Analysesystems verwenden. Weiteres Potenzial ist vorhanden: Für Swisscom Treasury wären künftig weitere Optimierungen denkbar, oder auch Analysen nicht nur auf die Gesamtzahl der fakturierten Rechnungen, sondern auf jeden einzelnen Kunden. Dies würde jedoch weit aufwändigere Datenaufbereitungen bedingen.


Beispiel 2: Gesamtheitliches Kunden-Reporting

Die Kunden sind für Unternehmen manchmal eine Blackbox, ein unbekanntes Individuum, dessen Eigenheiten und Bedürfnisse weitgehend unbekannt sind. So sammeln in vielen Unternehmen verschiedene Abteilungen fleissig Daten und erstellen manuell Reports, um mehr über ihre Kunden zu erfahren. Bei Swisscom Natel Pay versuchen die Verantwortlichen, aufwändig erstellte Reports, die nur punktuell durchgeführt werden können, durch eine automatische Realtime-Analyse zu ersetzen. Mittels Predictive Analytics will man mehr über das generelle Kundenverhalten bei Natel Pay erfahren. Statt nur einzelne Eigenschaften anzuhäufen, soll ein Gesamtbild erstellt werden. Das Projekt ist erst am Anlaufen, aber es wird bereits in den Tests ersichtlich, dass die Abteilung umso besser auf die Kunden eingehen und entsprechend agieren kann, je mehr über die Kundenbedürfnisse bekannt ist. Swisscom geht stets sorgsam mit diesen Daten um, schliesslich bleibt der Datenschutz stets oberstes Gebot im Umgang mit Kundendaten.

Bei Natel Pay wird Predictive Analytics auf verschiedenen Ebenen eingesetzt: Mit dem so genannten Carrier Billing haben Kunden die Möglichkeit, Apps, digitale Dienstleistungen oder Produkte per Handyrechnung zu bezahlen. Um Prognosen erstellen zu können, ist es notwendig, in den Datensätzen bisher versteckte Zusammenhänge zu finden: Welche Kunden nutzen welche Services? Sind 25-jährige Android-Nutzer zuverlässigere Zahler als 40-jährige iPhone-Nutzer? Besteht zwischen der Art des Handy-Abos eine Korrelation mit der Art der gekauften Produkte? Das Berechnungsmodell versucht, Antworten auf viele solcher Fragen zu geben. Je nach Resultat können besser passende Produkte angeboten, Rabatte auf bevorzuge Dienstleistungen vergeben oder Kunden ein Ausgaben-Limit auferlegt werden.





Um Antworten auf alle Fragestellungen geben zu können, haben die Datenanalysten mehrere Dutzend Variablen eingesetzt und Korrelationen zwischen allen diesen Variablen gesucht. In diesen Variablen gibt es diverse Informationen, beispielsweise zur Demografie, zum Nutzerverhalten oder zu bisherigen Transaktionen. Zwei Variablen miteinander in Beziehung setzen kann jeder Mitarbeitende leicht mit einer Excel-Tabelle. Schwieriger aber wird es mit Dutzenden oder gar Hunderten Variablen. Genau hier liegt das Potenzial der automatisierten Modelle, die versteckte Zusammenhänge und ungeahnte Korrelationen aufdecken können.

«Um die Prozesse zu verstehen und die komplexen Zusammenhänge aller einwirkenden Faktoren zu finden, suchten wir zuerst zusammen mit Fachpersonen aus dem Business explorativ nach möglichen Variablen, mit denen wir die Berechnungen durchführen konnten», erklärt Martin Gutmann. Weiter muss herausgefunden werden, welche Datenquellen sich eignen und wie die Daten eingesetzt werden können. «Das Aufbereiten der Daten ist eine Fleissarbeit und ist meist der grösste Aufwand», sagt Gutmann.

Analysiert werden auch Debitorenausfälle. Sie gehören bei vielen Unternehmen zu den grossen Unbekannten. Zahlungen für bereits gelieferte Produkte werden nicht beglichen, das erfahren sämtliche Versandhäuser, die Bezahlung per Rechnung anbieten. Um die Ausfälle möglichst gering zu halten, können einzelne Kunden mit einer individuellen Ausgabenbegrenzung versehen werden. Doch welche Kunden soll man mit einer solchen Limite behaften? Wer bezahlt verzögert? Wer gar nicht? Schliesslich sollen keine treuen Kunden bloss wegen eines einzigen Versäumnisses vergrault werden. So gibt es beispielsweise Kunden, die ihre Rechnung regelmässig erst einige Tage nach Ablauf der Zahlungsfrist begleichen. Diese Kunden halten sich zwar nicht exakt an die Regeln, sind dennoch zuverlässig und müssen nicht mit unnötigen Mahnungen verstimmt werden. Das spart nicht nur administrativen Aufwand und damit Kosten, sondern verbessert auch die Kundenbeziehung nachhaltig. Mit der Predictive-Analytics-Methode können solche Fälle nicht nur trennschärfer, sondern auch viel schneller und mit geringerem Aufwand evaluiert werden.


Schnelle Analysen, ständiges Lernen

Die beschriebenen Beispiele zeigen, wie die prädiktiven Datenanalysen einen konkreten Benefit generieren. Im Vergleich zu manuellen Analysen ist Predictive Analytics nicht nur viel schneller und präziser, sondern auch objektiver: «Erstellen Mitarbeitende beispielsweise Prognosen zu zukünftigen Verkaufszahlen, spielt immer auch die Psychologie mit. Da können schon mal subjektive Ansichten oder Schein-Korrelationen einen Einfluss auf das Ergebnis haben», sagt Martin Gutmann. Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto besser wird das anwendbare Modell.

Die datengestützte Analyse findet mitunter überraschende Korrelationen, die manuell nicht entdeckt werden können. Um jedoch die kausalen Zusammenhänge interpretieren zu können, braucht es Fachwissen aus dem jeweiligen Geschäftsbereich. Das weiss Martin Gutmann: «Weil die Sicht der Fachexperten wichtig ist, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten und das System laufend zu verbessern, stehen die Analysten stets in engem Kontakt mit dem Business.»






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