Augmented Reality

Eine Daten-Brille für den Field-Service-Techniker


Die Field-Service-Techniker von Swisscom benutzen bei ihren Einsätzen auch Augmented-Reality-Lösungen. Was es braucht, damit sich Mitarbeiter nicht wie Roboter fühlen und warum Blicke besser sind als Gesten.


Text: Urs Binder,




Für Swisscom-Servicetechniker Markus A. ist es eine Premiere: Bisher war er als Voice-Spezialist für die Aufschaltung der Sprachdienste bei Grosskunden zuständig, nachdem ein anderer Mitarbeiter eines Field-Service-Teams die Netzwerkhardware installiert und konfiguriert hatte. Heute soll er zum ersten Mal auch die Installation des Routers übernehmen. Und das ohne langwierige Schulung: Die Informationen, die er für die einzelnen Arbeitsschritte braucht, erhält er von einer Augmented-Reality-Brille, direkt eingeblendet in sein Sichtfeld.



VR-Brille

Die VR-Brille blendet alle Infos für die Routerinstallation ein.


Passgenaue Informationen auf einen Blick

«Smart Assistance» nennt sich die Lösung, die von Swisscom Digital Enterprise Solutions (DES) zusammen mit der Customer-Field-Service-Organisation (CFS) entwickelt wird. Konkret sieht das so aus: Markus A. setzt die Brille auf, eine Hololens von Microsoft, und blickt auf die Stelle im Gesichtsfeld, wo er das eingeblendete Menü gerne hätte. Mit dem Sprachbefehl «Place» fixiert er das Menü. Als nächstes wählt er das Routermodell ebendort, das es zu konfigurieren gilt. Dazu muss er den entsprechenden Menüpunkt eine halbe Sekunde lang per Blick anvisieren. Die Blickrichtung wird dabei durch einen blauen Punkt visualisiert.




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Nun erhält Markus A. umfassende Informationen über den Router, darunter Schritt- für Schritt-Anleitungen für verschiedene Arbeitsgänge und ein 3D-Modell des Geräts mit Angaben über die Anschlüsse und Bedienungselemente. Kommt er trotzdem nicht weiter, kann er per Menübefehl einen Experten anrufen, der sich mit dem Gerät auskennt. Auch ein Videocall ist möglich – dann sieht der Experte über die Kamera der Brille genau das, was der Techniker sieht und kann online 1:1 Unterstützung bieten.



Microsoft Hololens

Lukas Zimmerli mit der Microsoft Hololens


Konkreter Business-Case, schnelle Entwicklung

Eine treibende Kraft hinter dem Smart-Assistance-Projekt ist Matthew Butcher, Head of Team CFS East bei Swisscom. Er befasst sich seit den Tagen von Google Glass mit Augmented Reality (AR) und sucht stets nach neuen Anwendungsfeldern, in denen sich ein Gadget vom Typ einer AR-Brille im geschäftlichen Umfeld nutzbringend einsetzen lässt. In Zusammenarbeit mit der Abteilung Development & Integration bei DES entstand ein Pilotprojekt mit Feldtests bei einem Kunden, bei dem gerade Netzwerk- und Voice-Dienste ausgerollt werden sollten.


Für die technische Entwicklung von Smart Assistance ist das Team von Lukas Zimmerli zuständig: «Wir sind die Macher. Drei Spezialisten aus meinem zehnköpfigen Team haben die Lösung im Scrum-Verfahren in drei Sprints innert sechs Wochen entwickelt. Ende 2016 folgten die Feldtests und seit Anfang 2017 sind wir daran, den Proof-of-Concept zur marktfähigen Lösung voran zu bringen.» Jeweils ein Entwickler war für die Hololens-Anwendung, das Backend zum Einspielen der Informationen und für den Videosupport zuständig. Parallel zur Lösung mit der AR-Brille hat dasselbe Team auch eine Smartphone-Anwendung entwickelt, welche die gleichen Informationen zur Verfügung stellt.




Zimmerlis Team hat auch eine App entwickelt, welche dieselben Informationen wie die Lösung für die VR-Brille zeigt.


Technische Erkenntnisse

Im Zug der Entwicklung hat Zimmerlis Team einiges über die Entwicklung von AR-Anwendungen für die HoloLens gelernt. So lässt sich die HoloLens durch Gesten, mit Stimme oder per Blicksteuerung bedienen. Mit der Gestensteuerung kamen jedoch nur rund die Hälfte der Testanwender zurecht. «Ausserdem macht es beim Kunden keinen guten Eindruck, wenn der Techniker ständig mit der Hand gestikuliert», meint Zimmerli. Das Team entschied sich also für die Blicksteuerung. Eine weitere Erkenntnis: Am Einsatzort gibt es nicht immer eine zuverlässige Datenverbindung. Die Informationen sollten somit nicht nur im Backend, sondern auch lokal auf der AR-Brille gespeichert sein.


In Zukunft sollen Kunden- und Maschineninformationen, aber auch Big-Data- und Artificial-Intelligence-basierte Möglichkeiten wie Predictive Maintenance integriert werden. «Unsere Lösung ist so flexibel, dass wir sie künftig in verschiedenen Bereichen einsetzen können.» Und sie soll nicht nur Swisscom-intern zum Einsatz kommen, sondern auch bei Kunden. Allerdings, so Zimmerli, nicht als fixfertiges Produkt, sondern projektweise individuell auf den einzelnen Einsatz massgeschneidert. Denn jede Situation sei anders. Auf jeden Fall gelte aber folgendes: «Augmented Reality ist keine Science-Fiction mehr. Die Technologie hat revolutionären Charakter und ermöglicht eine neue Art von Interaktion.»




Auch der Autor ist von der Anwendung begeistert.


Die Menschen nicht vergessen

Für Matthew Butcher sind die organisatorischen Learnings aus dem Pilotprojekt entscheidend. Für die Fieldtests wurden bewusst ganz unterschiedliche Mitarbeitende gewählt – eher jüngere, technisch affine, aber auch langjährige Spezialisten, die sich über ihre Erfahrung und technische Kompetenz definieren. Die Reaktionen waren laut Butcher unterschiedlich. Die einen Teilnehmer fanden es cool und sahen es als Erfolgserlebnis, dass sie direkt in einer produktiven Umgebung eine Aufgabe lösen konnten, die sie zum allerersten Mal angingen. Andere kamen sich so vor, dass sie nun auf Hilfsmittel angewiesen sind und nicht mehr aus eigener Kompetenz heraus agieren können.


Der Erfolg AR-gestützter Anwendungen steht und fällt für Butcher mit der Kommunikation. Das Management sei hier gefordert: «Wir müssen solche Lösungen so positionieren, dass niemand das Gefühl bekommt, nur noch als Roboter im Einsatz zu stehen und von der Technik bevormundet zu sein.» Vielmehr soll die Technik die Mitarbeitenden befähigen, mehr zu können als bisher. 





Augmented Reality ist real


Nicht nur Swisscom beschäftigt sich mit Augmented Reality, auch anderswo stehen AR-Anwendungen hoch im Kurs. So sollen 24'000 Servicemitarbeitende von Thyssenkrupp bei der Liftwartung künftig die Hololens vor Ort als digitales Handbuch nutzen und bei Bedarf auf Expertenunterstützung per Videochat zurückgreifen – ganz ähnlich wie bei Smart Assistance von Swisscom bleiben so beide Hände für die Arbeit frei. Der deutsche Lackhersteller Bergolin testet die Brille in logistischen Prozessen der Produktion, wo die wuchtigen chemikalienbeständigen Handschuhe die Verwendung von Smartphones behindern. Und das Berner Inselspital prüft in einem Prototypen die Vorteile von AR bei der Operationsplanung.