«An der PdG können wir das LPN-Netz unter härtesten Bedingungen testen»
6 min

«An der PdG können wir das LPN-Netz unter härtesten Bedingungen testen»

Das Tracking der Teilnehmer an der Patrouille des Glaciers wurde dieses Jahr erstmals über das Low Power Netzwerk gemacht. Joachim Ernst von Swisscom Broadcast war für das Projekt verantwortlich. Warum er aufgeben wollte und es doch nicht tat und wie das Projekt seine Ferienpläne beeinflusste.

Noch eine Stunde bis die Patrouille des Glaciers (PdG), das härteste Skitourenrennen der Welt, beginnt. Joachim Ernst wirkt angespannt und aktualisiert alle paar Sekunden die Ansicht auf seinem Bildschirm: «Ich bin gespannt, was im Netz passiert, wenn sie starten.» Der Projektleiter Low Power Network (LPN) PdG sitzt im technischen Zentrum der Patrouille des Glaciers in Sion umgeben von Kommunikations-Spezialisten in Militär-Uniform. Kurzfristig wurde der Streckenverlauf beim Start wegen zu viel Schnee und Lawinengefahr geändert, Joachim Ernst bleibt ruhig. Sechs Monate hat er und sein Team auf diesen Moment hingearbeitet – geplant, simuliert und den Bau des Netzes begleitet – und dabei auch gelitten und gezweifelt. Einmal mehr geht alles gut und seine virtuelle Karte zeigt: Auch die neue Strecke auf der anderen Seite der Gornerschlucht bei Zermatt hat genügend Netz-Abdeckung und Kapazität.

Joachim Ernst kurz vor dem Rennen, angespannt überprüft er Tracker, die noch nicht funktionieren.

LPN statt 2G für die Ortung

Das Tracking der Patrouillen erfolgte bis vor zwei Jahren über das GSM-Netz. Weil die 2G-Netz-Kapazität aufgrund der Technologieablösung langsam abnimmt, wurde ins Auge gefasst, das Low Power Network für die Verortung der Teilnehmer einzusetzen. «Im Sommer 2017 hat uns der Leiter der Patrouille des Glaciers die Idee vorgestellt und für mich war schnell klar, dass wir mit LPN die Anforderungen erfüllen können. Zur neuen Technologie gehören auch neue Tracker, mit denen wir die Teilnehmer bis auf 10 Meter genau orten können.» Das LPN-Netz der Swisscom basiert auf der LoRa-Technologie, hat eine energiesparende Übermittlung und einen vergleichsweise einfachen Netzaufbau. Der Vorteil ist auch, dass es 95 Prozent der Schweizer Bevölkerung bereits abdeckt und die Sendeleistung so tief ist, dass es für die Installationen keine Bewilligungen braucht.

Jede Patrouille sendet alle zwei Minuten ihre Positionsdaten als Textmessage über das Low Power Netz. «Am Schluss werden wir 750 Tracker auf engstem Raum haben, welche sehr viele Nachrichten gleichzeitig verschicken. Das haben wir in dieser Form noch nie gemacht», so Joachim Ernst. Damit das überhaupt möglich ist, mussten er und sein Team herausfinden, wie sie den hochalpinen Raum zwischen Zermatt und Verbier – also Niemandsland – abdecken. Das Gelände in Felder aufteilen, berechnen welche Antennen sie wo einsetzen, damit am Schluss alle Positions-Nachrichten auch wirklich durchkommen. Die grosse Herausforderung ist dabei der Start, wo sehr viele Tracker am gleichen Ort sind. «Es gab Zeiten, wo ich nicht mehr daran glaubte, dass wir das schaffen. Ich wollte aufgeben. Doch dann habe ich mir gesagt, nein, das Projekt ist so gut und so spannend, das darf ich nicht hinschmeissen. Also machten wir weiter.»

Viel Erfahrung mit LPN

Der studierte Informatiker arbeitet seit 18 Jahren bei Swisscom Broadcast, seit 2014 im Bereich LPN. Die Projektleitung LPN an der PdG war neben der Euro 08 das bisher grösste und intensivste Projekt für ihn.  «An der PdG können wir das LPN-Netz unter widrigsten Bedingungen testen und zeigen, was damit alles möglich ist.»

Joachim Ernst, Solution Architect LoRa

Wer Joachim kennt, würde ihn vermutlich so beschreiben: Er spricht nur, wenn er etwas zu sagen hat und was er sagt, ist wohlüberlegt. Er liebt komplexe technische Herausforderungen.  Und er ist ein sehr begeisterungsfähiger Mensch. Für das Projekt ist er zum Beispiel die Gegend zwischen Zermatt und Verbier stundenlang auf Google Earth durchgegangen. «Das sah so schön aus, dass ich mir sagte, dort will ich nach der Patrouille des Glaciers unbedingt hin». Ab Juli, wenn der Schnee verschwunden ist, wird er sein Sabbatical nutzen, um die Gegend um Arolla zu Fuss zu erkunden.

Tracker wurden zuerst tiefgekühlt

Nicht nur die Planung und der Bau des Netzes fielen in Joachims Aufgabengebiet, sondern auch die Wahl der richtigen Tracker. Seine Tests zeigten, dass konventionelle Tracker mit wiederaufladbaren Akkus nicht geeignet sind, da sich diese unter den hochalpinen Bedingungen zu schnell entladen. «Wir waren gezwungen, Tracker zu finden, die auch gegen die Tieftemperaturen resistent sind. Dafür haben wir die Tracker im Labor tiefgekühlt, um die extremen Wetterbedingungen der PdG zu simulieren», so Joachim Ernst.

Monatelange Vorbereitung

Fast zwei Monate zuvor: Joachim Ernst kontrolliert im fahlen Licht im Keller einer Militärkaserne in Sion das Material für die LPN-Empfangsstationen. Das Gateway, wie sie auch genannt wird, sieht ein wenig aus wie eine flache, glänzende Schuhschachtel und wiegt einige hundert Gramm, hat eine kurze Antenne für die Anbindung über das Mobile-Netz, einen Anschluss für den Lora-Empfang und einen Stromanschluss. Für den LoRa-Empfang braucht es an den Standorten entweder eine kleine Stabantenne oder eine grosse Sektorantenne, die aussieht wie ein alter Radiator, um möglichst viele Signale abzufangen. Für den Fachstab Kommunikation der Armee ist LPN eine neue Technologie. Joachim Ernst muss darum mit dem Verantwortlichen jedes Standortes das benötigte Material und die Spezifikationen der Montage besprechen. Einiges zeigt sich erst hier: fehlendes Material, Halterungen die nicht passen, Überlegungsfehler die gemacht wurden. Joachim kümmert sich ruhig um jedes Detail.

Für das Rennen wird das bestehende LPN-Netz temporär verstärkt, dafür müssen 25 LPN-Gateways oder Empfänger an 17 Standorten installiert werden. Der höchste liegt auf der Tête Blanche, auf knapp 3800 Metern über Meer. Die Montage im hochalpinen Raum war entsprechend aufwändig. Die Aufbauarbeiten gingen harzig voran, wegen des schlechten Wetters gerieten die meisten Arbeiten in Rückstand. Joachim Ernst blieb zuversichtlich: «Ich hatte immer ein gutes Gefühl, diese extreme Organisation der Patrouille des Glaciers und der Einsatz jedes Einzelnen machte es am Schluss möglich.»

Allein am Standort Arolla brauchte der Aufbau der drei Gateways mehrere Stunden und die Experten von Swisscom mussten bei starkem Wind in schwindelnder Höhe das Material montieren. Joachim Ernst kontrollierte nach der Aufschaltung jedes Gateway, ob ob es funktioniert. Da es sich um eine neue Technologie für die Beteiligten handelte, wurden mindestens bei einem Gateway die Antennen vertauscht. «Bei mir in der Applikation sah jedoch alles gut aus. Den Fehler erkannte ich aber auf Fotos, die ich vor dem Rennen eingefordert habe. Es hätte zur Folge gehabt, dass die Abdeckung schlecht und die Fehlerrate in diesem Bereich sehr hoch gewesen wären und niemand gewusst hätte, warum.»

Das Rennen

Es ist kurz nach 22 Uhr, das Rennen ist vor wenigen Sekunden losgegangen. Auf Joachims Bildschirm arbeiten sich dunkelblaue Quadrate in einer schönen Einerreihe durch Zermatt und die Gornerschlucht voran, das heisst die Tracker, das Netz und die Applikation zur Patrouillenverfolgung funktionieren.

Jetzt weicht ein wenig Anspannung aus Joachims Gesicht und er beginnt zu strahlen, Kollegen links und rechts nicken ihm anerkennend zu oder klopfen ihm auf die Schulter. «Alles schön dunkelblau, das heisst, wir haben noch keine Daten verloren.» Und weiter: «Wir konnten viele Details testen, aber nie das Ganze. Erst jetzt haben wir den Beweis, dass es funktioniert, das macht enorm Spass.» Um kurz nach halb Elf kommt ein SMS vom CEO von Broadcast: «Und wie läufts?» «obenuse», schreibt Joachim zurück, das ist Berndeutsch und heisst soviel wie: Es könnte nicht besser gehen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.