China-Outpost von Swisscom

«Von China lernen»


In China ist die Digitalisierung in vollem Gange. Staat und Privatwirtschaft lancieren eine gewaltige Entwicklungsinitiative. In einem eigens gegründeten Outpost wollen Spezialisten der Swisscom neue Ideen und Geschäftsmodelle studieren.


Text: Hansjörg Honegger, Bilder: Keystone, 13. Juli 2018




In der nordwestchinesischen Stadt Xi’an haben Smartphone-User einen eigens für sie reservierten Fussweg: Der rund einen Meter breite Streifen soll sie vor Schaden durch den Zusammenprall mit Hindernissen bewahren. Heads-Down-Tribe heissen die Power-User in China. Und von denen gibt es Millionen. In keinem anderen Land der Welt nutzen die Einwohner die mobilen Devices derart intensiv wie in China.

Das hat einen durchaus handfesten Grund: Die chinesische Regierung sortiert ihre Wirtschaft neu. Das Riesenland soll nicht mehr länger einfach nur die günstige Werkbank der Welt sein. China will den technologischen Lead in den wichtigsten Hightech-Branchen übernehmen. Der 2016 verabschiedete Fünfjahresplan spricht eine deutliche Sprache: Das durchschnittliche Einkommen der Chinesen soll sich im Vergleich zu 2010 verdoppeln, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung massiv ansteigen. Technologischen Schlüsselbranchen wie Raumfahrt, Elektromobilität oder künstliche Intelligenz gilt das ganz besondere Augenmerk, inklusive staatlicher Förderung. 700 Millionen Chinesinnen und Chinesen sind online und nutzen die Angebote von Alibaba und Co. Rund 500 Millionen bezahlen mit dem Smartphone. China druckt jedes Jahr rund 15 Prozent weniger Papiergeld. Ein riesiges Labor, in dem Technologien und Anwendungsmöglichkeiten im grossen Massstab ausprobiert werden. Grund genug für Swisscom, 2018 einen dritten Outpost – nach jenen im Silicon Valley und in Berlin – in Shanghai zu gründen.


Der Gehweg für Smartphone-User – dem «Heads Down Tribe» - in der chinesischen Stadt Xi’an.


Beobachten und lernen

«In China werden technologische Trends sehr schnell adaptiert», erklärt Yanqing Wyrsch, Leiterin des Swisscom Outposts. «Wir können hautnah studieren, wie beispielsweise ein vollautomatischer Supermarkt funktioniert. Noch vor wenigen Wochen mussten die Kunden mit QR-Code bezahlen. Jetzt wird bereits Gesichtserkennung eingesetzt.» Diese konsequente Weiterentwicklung der technologischen Möglichkeiten fasziniert auch Urs Lehner, Leiter Grosskundengeschäft Swisscom: «Im Vordergrund steht nicht, eine neue Technologie zu entwickeln, sondern die Umsetzung vorhandener Ideen. Das dann aber mutig und konsequent.»

Ein besonderes Augenmerk schenkt Swisscom der Adaption von Geschäftsideen, die auch für Schweizer Firmen interessant sein könnten. Als Beispiel wird das boomende Geschäft mit dem Fahrrad-Sharing genannt: «Die Kosten für Kauf und Unterhalt der Fahrräder werden durch den Beitrag der Nutzer nicht gedeckt,» erklärt Wyrsch. «Das ist aber auch nicht beabsichtigt: Die Anbieter nutzen die Bewegungsdaten ihrer Kunden für weitere Angebote, beispielsweise Werbung von Geschäften gleich um die Ecke».


China ist auf dem Weg zur führenden Digitalnation. (1:43 min)


Ideen adaptieren, nicht übernehmen

Ob solche Geschäftsideen Erfolg haben, zeigt sich in China sehr schnell. «Die Regulierung ist weniger stark als bei uns und es wird schneller etwas umgesetzt,» erklärt Wyrsch. «Wir können vor Ort lernen, was funktioniert und uns dann überlegen, wie es allenfalls auf unseren Markt und unsere Kultur adaptiert werden könnte.»

Westliche Hightech-Firmen spüren den Atem der östlichen Konkurrenz zunehmend heisser im Nacken. So wird bereits spekuliert, ob China die USA als innovativstes Land der Welt ablösen wird. «Die Zeiten, als China einfach nur kopierte und nicht selber innovativ war, sind definitiv vorbei», betont auch Yanqing Wyrsch. Das zeigt einerseits die Zahl der Patente, die in China eingereicht werden: 2015 wurden 51 % aller Patente in China angemeldet. In den USA waren es noch 15 Prozent, in Japan 14 Prozent und in Europa noch ganze 5 Prozent. Das ist ein kompletter Umsturz seit dem Jahr 2000: Damals hielten die USA, Europa und Japan gemeinsam noch 81 Prozent aller Patentanmeldungen. Experten sind sich aber einige: Noch sagen die reinen Zahlen nichts aus über die Qualität der Patente.


AI, VR, Big Data, Robotics, Drohnen und mehr – China treibt diese Technologien konsequent voran. (1:39 min)


Chinas gewaltiger Effort

Doch ein Blick auf die chinesischen Anstrengungen auf die Ausbildung sowie Forschung und Entwicklung weist den Weg: China gibt im Moment 2,1 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Forschung und Entwicklung aus. Jedes Jahr verlassen 8 Millionen Absolventen die Hochschulen. Pro Million Einwohner werden 1177 Chinesen Forscher. Noch ist diese Zahl weit von den 4321 in den USA entfernt. Doch nimmt man die Bevölkerung als Ganzes, wird dieses Manko mehr als wettgemacht.

China ist auf dem Vormarsch und entsprechend nervös reagieren vor allem die USA. Der zentrale Konflikt dreht sich um die Digitalisierung: Die Chipherstellung – Grundlage für AI oder Big Data – ist im Moment noch fest in US-Händen. Doch die Festung wackelt: Die chinesischen Anstrengungen, die künstliche Intelligenz (KI) voranzutreiben, sind gewaltig. Der jüngste Fünfjahresplan rückt die Förderung von KI ganz nach oben. Der chinesische Staatsrat präsentierte im Juni 2017 ausserdem den Next-Generation-KI-Plan. Die USA soll bis 2020 eingeholt und bis 2025 überholt werden. Bis 2030 soll China in diesem Bereich weltweit führend sein. Das Land wird zu einem riesigen Versuchslabor: Nirgendwo sonst gilt der Schutz der Privatsphäre so wenig und stehen dermassen viele Daten von Staat und Grossunternehmen zur Auswertung zur Verfügung. Grosse Player wie Facebook oder Google sind verboten und müssen diesen Markt der chinesischen Konkurrenz überlassen. Ideale Voraussetzungen, um die Intelligenz der Maschinen wachsen zu lassen: Je grösser die Datenmasse, desto schneller lernt die KI. Noch zieht die chinesische Bevölkerung begeistert mit: Das Handy als zentrale Anlaufstelle für alle Lebensbereiche hat sich längst fest etabliert. In den Bereichen Telekommunikation und Online-Zahldienste dürfte China praktisch allen anderen Ländern weit voraus sein. So befördert der Online-Händler Alibaba mehr Waren, als Amazon und eBay zusammen. Auch die früher mehrheitlich sehr arme Landbevölkerung ist längst auf den Zug aufgesprungen und nutzt fleissig die diversen Online-Dienste. Die Auslieferung per Drohnen ist in diesen Gegenden sehr viel praktikabler als in den dicht bevölkerten Grossstädten und wird grossräumig getestet.


Sharing Economy und Big Data – In China entstehen neue datengetriebene Geschäftsmodelle. (1:32 min)


Totale Kontrolle durch den Staat

Doch es geht in China nicht nur um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, sondern immer auch um die politische Kontrolle: Der Staat – eng verbandelt mit den grössten Firmen, die ihm willig den Zugriff auf alle Daten gewähren – will dank künstlicher Intelligenz und Big Data die komplette Kontrolle über seine Bürger erhalten. Heute schon ist die Mehrheit der Überwachungskameras mit leistungsfähiger Bilderkennungs-Software ausgerüstet. Mittels eines Social Credit Scores wird die Linientreue der Bürger ermittelt. Wer sich nicht anpasst, kommt auf eine schwarze Liste. Vordergründig soll so die Kriminalität bekämpft werden, doch es geht auch darum, Dissidenten auszuschalten. Wer auf der schwarzen Liste steht, ist in seiner Freiheit stark eingeschränkt, kann kein Haus kaufen, keine Firma gründen, ja unter Umständen nicht mal ein Zugticket buchen.


Rote Linie für Swisscom

«Der chinesische Markt ist für uns spannend, wir ziehen aber bei gewissen Ansätzen klar eine rote Linie,» betont denn auch Urs Lehner, der sich der Schattenseiten der Entwicklung durchaus bewusst ist. Doch die grundsätzliche Dynamik der Wirtschaft und der technologischen Entwicklung liefert auch Swisscom interessantes Anschauungsmaterial. «In China werden im Moment 12'000 Startups gegründet – pro Tag», so Outpost-Leiterin Yanqing Wyrsch. Bereits ein Drittel der Einhorn-Startups weltweit – mit einem Wert von mehr als einer Milliarde Dollar –sind in China angesiedelt. Die Top-10 der Neuzuzüger 2017 wird praktisch komplett von chinesischen Firmen dominiert: Sieben Firmen stammen aus China, unter anderen Toutiao, Lianjia, Nio, Mobike oder Ofo. Ein weiteres Indiz für die gewaltige Dynamik, mit der sich dieser Markt bewegt.

Vor allem Peking gilt als Hotspot für Firmengründungen im KI-Bereich. Doch es gibt noch andere Brennpunkte: «Hangzhou ist die erste bargeldlose Stadt der Welt,» führt Wyrsch aus. «Yinchuan ist Vorreiterin im Bereich Smart Cities und in Shenzhen werden eine Milliarde Handys pro Jahr produziert.» In China sind neun der 20 grössten Internet-Firmen angesiedelt. Noch vor fünf Jahren hatte China deren zwei und die USA neun.

Der Swisscom-Outpost ist in der internationalsten Stadt Chinas angesiedelt: In Shanghai.


Digitalisierung ist in China längst Realität – eine andere Mentalität macht's möglich. (1:42 min)


Hunger nach Erfolg und Wohlstand

Die hochfliegenden Fünfjahrespläne hängen aber nicht nur am Willen der kommunistischen Machthaber, sondern auch and der Wirtschaftsentwicklung und nicht zuletzt an den Chinesinnen und Chinesen selber. Diesen attestiert Yanqing Wyrsch einen ausgeprägten Ehrgeiz sowie einen Hunger nach Erfolg und Wohlstand. «Chinas Bevölkerung war bis vor Kurzem noch mehrheitlich arm und ungebildet. Das hat sich verändert. Die Menschen geniessen die wirtschaftlichen Möglichkeiten, die sich ihnen bieten. Sie sind begeistert bereit, Neues auszuprobieren. Darum werden Smartphones und deren Möglichkeiten auch so rege genutzt. Es spielt dabei keine Rolle, wenn die angebotenen Dienste mal nicht so perfekt sind», so Wyrsch. Für Schweizer Firmen gehe es im Moment vor allem darum, von der chinesischen Dynamik zu lernen und aus den zahlreichen Business Cases die richtigen Schlüsse für den heimischen Markt zu ziehen.


Swisscom Outpost


Ziel des Swisscom Outposts in Shanghai ist es, neue Business-Ideen zu verfolgen, interessante Kontakte zu pflegen und Swisscom-Angestellte bei ihren Besuchen in China zu unterstützen. Yanqing Wyrsch leitet den Outpost. Sie hat chinesische Wurzeln und machte ihren Bachelor of Arts in Western Languages and Literature an der University of Peking 1987. Seit 1989 lebt sie in der Schweiz, seit 1999 arbeitet sie bei Swisscom in wechselnden Positionen, unter anderem als Head Complaint Management und Head Customer Data Management. 2007 absolviert sie den Master of Business Administration (MBA) mit Schwerpunkt Strategy Marketing und E-Commerce an der Universität Genf. Seit 2016 ist sie Director of Swisscom Outpost China. Swisscom betreibt seit 1996 einen Outpost im Silicon Valley und seit 2017 einen in Berlin.


5 Fragen an Yanqing Wyrsch

Yanqing Wyrsch, Director of Swisscom Outpost China


Warum ist der Swisscom-Outpost in Shanghai?


Shanghai ist die internationalste Stadt in China. Sie ist der Hotspot für E-Commerce, Internet-Security und Fintech, drei Themen, die uns sehr interessieren. Unser Büro befindet sich in einem Incubation Acceleration Center, wo sehr viele Startups eingemietet sind. Die Hälfte davon ist nicht aus China. So hat zum Beispiel eine französische Bank oder die australische Regierung ebenfalls einen Outpost hier.


Wo sehen Sie interessante Ansätze neben AI, Fintech oder E-Commerce für Schweizer Firmen?


Smart Cities sind für uns sehr interessant. Yinchuan ist die bekannteste Smart City in China. Hier findet jedes Jahr ein grosses Summit statt, an dem Spezialisten aus 150 Ländern teilnehmen. Dazu kommt Hangzhou, die als erste bargeldlose Stadt der Welt ein spannendes Experiment wagt.


In China werden jeden Tag 12'000 Startups gegründet. Wie muss man sich diese Community vorstellen?


Es gibt in China gut 3'000 Incubation Center, teils von privaten Investoren, teils vom Staat. Die Community ist komplex organisiert, zum Teil besteht eine Zusammenarbeit – für jedes Thema gibt es gut besuchte Summits oder andere Events – zum Teil besteht aber ein harter Konkurrenzkampf.


Könnte die Schweiz etwas lernen von China bezüglich der Startup-Förderung?


Nicht unbedingt. Auch in der Schweiz gibt es zahlreiche Startup-Challenges und andere Förderungsmassnahmen, auch Swisscom trägt hier ihren Teil bei. In China bewegen sich einfach die Zahlen in ganz anderen Dimensionen.


Ist es für Sie als Frau schwierig, in China zu reüssieren?


Diese Frage musste ich mir gar nie stellen. In China ist eine Frau nicht benachteiligt. Frauen wurden politisch und wirtschaftlich gefördert. Es ist bei uns eine Kultur, dass in der Familie das Geld immer in der Hand der Frauen liegt. So ist beispielsweise die Gründerin des sehr erfolgreichen Mobike eine Frau, auch bei Alibaba ist im Topmanagement eine Frau. Solche Beispiele gibt es sehr viele.




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