Services mit künstlicher Intelligenz

Braucht jedes Unternehmen einen Chatbot?


Ob für Flugreservationen, im Kundendienst oder beim Online-Shopping: Auch Schweizer Unternehmen setzen immer mehr auf Chatbots. Wo sie versagen und wie Sie zum eigenen Chatbot kommen.


Text: Adrienne Fichter,




Wir allen kennen diese Situation: Minutenlang werden wir mit Musik in der Warteschleife der Hotline berieselt, ohne Ende in Aussicht. Oder wir rufen eine Servicenummer um 17:35 an, just dann wenn der Kundenberater Feierabend hat. In Zukunft werden wir von diesem Problem verschont werden. Und können uns mit dem Unternehmen unterhalten, wann immer es uns passt, auch um 3 Uhr morgens.


Das Softwareunternehmen Oracle sagt voraus, dass der Kundenservice vollständig verändert wird. Das Forschungsunternehmen Gartner prognostiziert, dass gerade mal ein Drittel der Kundenbeziehungen noch menschliche Interaktionen erfordern wird. Im Umkehrschluss heisst das: Zwei Drittel werden von automatisierter Software übernommen.


Gibt es den persönlichen Call-Center Agenten bald nicht mehr?

Führend sind hier die Chatbots. Dabei handelt es sich um Chat-Roboter, also smarte Programme, die selbständig mit Nutzern kommunizieren könnten. Sie sind lernfähig und darauf programmiert, Daten zu erhalten und auf bestimmte Schlüsselwörter und -phrasen zu reagieren. Dadurch können beispielsweise Shopping- und Serviceprozesse dialogbasiert unterstützt werden. 80 Prozent der von Oracle befragten Sales- und Marketing-Leiter gaben an, dass sie diese Technologie bis zum Jahr 2020 einsetzen wollen. Besonders beliebt sind dabei die reichweitenstarken Messenger-Portale als Schauplatz.


Innerhalb der WeChat-App - dem chinesischen Äquivalent von Whatsapp - beispielsweise kaufen, bestellen oder reservieren 650 Millionen Kunden täglich. Die asiatische Allrounder-App wird inzwischen für fast alles, von Shopping über Onlinebanking bis zur Taxibestellung eingesetzt. Im Westen hingegen ist es nur eine Frage der Zeit, bis Facebook die westlichen Messaging-Plattformen dominiere, glaubt Jessica Ekholm, Research Director beim amerikanischen Marktforschungsunternehmen Gartner.


Facebook Messenger bietet sich nicht nur wegen des grossen potenziellen Zielpublikums an. Sondern weil viele Unternehmen bereits eine entsprechende Fanpage haben, die man für die Entwicklung eines Bots dank einfachem Baukastensystem ausbauen kann. Mittlerweile kümmern sich 34'000 Bots der unterschiedlichsten Unternehmen beim Facebook Messenger um die Anliegen der User. Sie werden im Gegensatz zu WeChat jedoch «nur» im Kundenservice, Empfehlungsmarketing oder in Gewinnspielen eingesetzt. Einige bekannte deutschsprachige Beispiele: Der Chatbot Mildred sucht für Lufthansa-Kunden nach geeigneten Flugtarifen. Die Chatbots von H&M und Zalando dienen als freundliche Shopping-Berater. Auf der Website Botlist findet man eine gute Übersicht über die bestehenden Chatbots, deren digitales «Einzugsgebiet» und ihr konkreter Dienstleistungszweck.

One-Stop-Shop für AI

Das Swisscom Kompetenzzentrum für angewandte Artificial Intelligence bietet Unternehmen alles, was es für die rasche und erfolgreiche Umsetzung von Projekten rund um künstliche Intelligenz braucht: Von der Beratung über die richtige Technologie bis zur Integration.

Zum Angebot


«Das Bedürfnis von Kunden ist so schnell wie möglich an Informationen zu kommen — das kann über einen Chatbot gelöst werden — aber auch nicht.»


Marc Steffen,
Head of Product Design Artificial Intelligence & Machine Learning Group, Swisscom


Wo steht die Schweiz?

In der Schweiz beobachten viele Grossunternehmen aus dem Detailhandel, Versicherung oder Banken vorerst die Entwicklung und tüfteln an eigenen Projekten. Die meisten sind jedoch erst noch im Prüfstadium oder nutzen die Technologie vorläufig nur für eine bessere Verwaltung im Hintergrund. Die Swisscom-Tochterfirma Search.ch experimentiert mit drei Chatbots im Facebook-Messenger. Kinoprogramm, Wetterbericht und Zugverbindungen lassen sich auf diesem Weg abrufen. Seit Dezember letzten Jahres ist für den Telco-Anbieter «Wingo» der Bot «Cara» auf Facebook im Einsatz. Besonders praktisch ist das für Kunden, die zwischen 18 Uhr abends und 9 Uhr morgens einen Ansprechpartner bei Wingo suchen.


Worauf es ankommt

Doch wie ausgereift ist die Künstliche Intelligenz-Technologie bereits? Können sie die menschliche Beratungskompetenz substituieren? Viele Testberichte zeigen, dass nur wenige Anbieter in der Facebook Messenger-App ihre Versprechen einlösen. Die Erfahrungen sind ernüchternd, wie ein Selbstversuch von Zeit Online zeigt: Selbst bei seiner vermeintlichen Kernkompetenz – der Wetteransage – scheitert der Wetter-Chatbot Poncho gelegentlich. Mit der Eingabe von «Wetter Berlin» auf Google käme man schneller weiter, so das Verdikt des Medienportals. Poncho rücke diese Informationen nach zwei Minuten Gespräch rudimentär raus.



Der Head of Product Design Artificial Intelligence & Machine Learning Group von Swisscom Marc Steffen warnt vor falschen Erwartungen. Nicht immer sind Chatbots die richtige technologische Lösung für ein Unternehmen: «Das Bedürfnis von Kunden ist so schnell wie möglich an Informationen zu kommen — das kann (je nach Zielgruppe und Kontext) über einen Chatbot gelöst werden — aber auch nicht. Vielleicht lässt sich die gewünschte Information über zwei Klicks auf einer regulären Website schneller finden als über einen Bot» Unternehmen sollten sich immer fragen: «Wäre ein Mensch besser für den Endbenutzer?» Wenn ja: Dann braucht es keinen Chatbot. Bots sollten nicht versuchen, Menschen zu ersetzen, worin sie gut sind. Sondern dort einsetzen, worin sie beispielsweise zu langsam sind.





Swisscom und EFPL arbeiten an Künstlicher Intelligenz

Die meisten Chatbots punkten vor allem bei einfachen Fragen. Hier garantieren sie eine Ersparnis bei Kapazitäten, Geld und Zeit für das Unternehmen. Man nennt sie laut Steffen im Fachjargon «Retrievel Bots». Swisscom hat in Zusammenarbeit mit der ETH Lausanne (EPFL) ein Kompetenzzentrum gegründet, um Schweizer Unternehmen die Anwendung künstlicher Intelligenz rasch und einfach zu ermöglichen. Dabei wird an verschiedenen Typen von Chatbots geforscht, von den einfacheren «Retrieval Bots» bis hin zu personalisierten Chatbots. Machine Learning ist zentral bei der Entwicklung ausgeklügelter Chatbots. «Der Chatbot ist nämlich immer nur so gut wie das vorhandene Wissen.» sagt Steffen. Der Katalog von Wingo-Chatbot Cara umfasst 25 einfache Fragen. 20-40 Anfragen wickelt Cara im Monat ab. Ihre Funktionalitäten sind noch ausbaufähig. Momentan verfügt Cara noch über keine künstliche Intelligenz, kann also nicht selbstständig dazu lernen. Doch das wird sich bald ändern. Denn je mehr Befehle, je mehr Daten man einspeist, desto individueller und personalisierter werden ihre Antworten in Zukunft ausfallen.


«Der Chatbot ist immer nur so gut wie das vorhandene Wissen.»


Marc Steffen


Wie baut man einen Chatbot?

Wie kommt man als Unternehmen überhaupt zum eigenen Chatbot? Einerseits bieten die Plattformbetreiber Google, Facebook und Microsoft Hand. Die zwei grössten Kontrahenten dabei sind Microsoft und Facebook, mit ganz unterschiedlichen Entwicklungsumgebungen. Facebook Messenger zum Beispiel ermöglicht es den Entwicklern mit der eigenen offenen Messenger-Plattform kleine Assistenten zu konzipieren. Microsoft wartet mit der Cortana Intelligence Suite auf. Entwickler und Unternehmen können sich aus dem Bot Framework und dem Azure Bot Service von Microsoft bedienen und selbstlernende Anwendungen und Bots programmieren. Zudem haben sich in der Schweiz verschiedene ICT-Anbieter und Agenturen darauf spezialisiert.


Sind Chatbots nur ein vorübergehender Marketing-Hype? Oder ein ernstzunehmendes Phänomen für Unternehmen? Sie können den Anfang einer unternehmensweiten Mobile-Strategie sein. Oder als Übergangslösung zu umfassenden intelligenten Assistenzsystemen dienen, Stichwort: Persönlicher digitaler Assistent, wie wir es von Siri (Apple) und Allo (Google) kennen. Chatbots markieren auf jeden Fall den Anfang einer spannenden Reise in die Welt der Künstlichen Intelligenz. Ob sich eine Investition lohnt, soll in erster Linie nicht von den Ressourcen eines Unternehmens abhängen. Sondern von der Frage, ob der Kunde durch die Kommunikation mit einer Maschine wirklich einen echten Mehrwert hat.





Weiterführende Links


Wie Chatbots den Kundenservice verändern werden