Wirtschaft, Technologie und Gesellschaft wandeln sich immer schneller. Um mit Projekten und Produkten dennoch effizient und erfolgreich ans Ziel zu kommen, braucht es neue, agile Organisations- und Arbeitsformen – auch im Gesundheitswesen.
Text: Roger Welti, 17. April 2019
Es war einmal der Wasserfall. Mit dieser Methodik wurden grosse Projekte in mehrere Stufen oder Phasen unterteilt, die aufeinander aufbauten und in einer zu Beginn festgelegten Reihenfolge durchgeführt wurden. Diese strukturierte und planvolle Vorgehensweise bewährte sich dann, wenn die Anforderungen an ein Vorhaben konstant waren und keine kurzfristigen Korrekturen vorgenommen werden mussten.
Tempi passati. Heute verändern sich die Bedürfnisse von Markt und Kunden, aber auch technologische und regulatorische Anforderungen dermassen rasch, dass von Konstanz nur noch sehr bedingt die Rede sein kann. Wer grosse Projekte umsetzt oder innovative Produkte entwickelt, muss daher Organisations- und Arbeitsformen wählen, die Flexibilität und schnelles Lernen in kurzen Iterationen erlauben. «Die Antwort auf diese Herausforderung heisst Agilität», sagt Martin Kropp, Professor für Software Engineering an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Tatsächlich ist diese Arbeitsform keine Erfindung der Moderne. Handwerker in der vorindustriellen Zeit mussten bereits flexibel auf die Wünsche der Kunden in ihrem engen lokalen Markt eingehen. «Erst mit der Industrialisierung und automatisierten Produktionsprozessen ging diese Flexibilität verloren», sagt Agilitätsexperte Kropp.
2001 hielt der Begriff der Agilität in der Softwareentwicklung Einzug. Im sogenannten Agilen Manifest wurden vier Leitsätze festgehalten, die – nicht zuletzt dank optimierter Teamzusammenarbeit – eine bessere Softwareentwicklung ermöglichen sollten. Das Manifest betont die Bedeutung der Interaktion aller Beteiligten, insbesondere der Zusammenarbeit mit dem Kunden. Es gewichtet das Funktionieren der entwickelten Software höher als deren umfassende Dokumentation. Und es fordert ein stetiges Reagieren auf Veränderungen.
Doch wie funktioniert die propagierte Interaktion der Beteiligten im Alltag? «Indem ein Softwareentwickler seinem Kunden in kurzen Abständen immer wieder das Ergebnis seiner Arbeit zeigt und der Auftraggeber unmittelbar Feedback zu dieser Arbeit geben kann», erklärt Martin Kropp. Das erhöht die Transparenz und das Vertrauen untereinander. Es verkleinert aber auch das Risiko, dass in eine falsche Richtung entwickelt wird.
Fachmann Kropp ist Autor der regelmässig durchgeführten Swiss Agile Study und weiss, dass Kunden oft erst vom Wert agiler Methoden überzeugt werden müssen: «Klassisch möchte man natürlich immer gerne nach Bauplan und mit Blaupause arbeiten und sich in einer vermeintlichen Sicherheit wiegen.» In einer Welt aber, in der auch bei bester Planung nie alle Eventualitäten von Beginn weg ersichtlich sind, führen kleine Schritte verlässlicher ans Ziel als grosse Würfe. Kropp weiss: «Wer als Kunde die Vorzüge agiler Softwareentwicklung mal erlebt hat, will meist nicht mehr zurück.» Die Qualität der Ergebnisse und die kürzere Time-to-market seien sehr überzeugende Argumente.
Auch Spitäler und andere Gesundheitseinrichtungen beschäftigen sich zunehmend mit dem Potenzial agiler Arbeitsweise. Einzelne Kliniken haben erfolgreich einen Alltag erprobt, der weniger auf Hierarchie und lange Wege und stattdessen mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit und Partizipation setzt. «Auch in der Softwareentwicklung fürs Gesundheitswesen kommen immer mehr agile Methoden zur Anwendung», weiss Denniz Dönmez, der als Scrum Master bei Swisscom Health in der Entwicklung von Lösungen für Spitäler und Praxen tätig ist. Gesundheitseinrichtungen erleben einen raschen Wandel ihrer Technologie – sei es in der Diagnose, im Operationsaal oder in der Kommunikation untereinander oder mit Patienten. «Diese sich stetig verändernden Bedingungen und Ansprüche verlangen nach Flexibilität oder eben Agilität in der Entwicklung von IT-Lösungen», unterstreicht Dönmez, der unter anderem an der ETH Zürich zu Agilität unterrichtet.
Ein entscheidender Aspekt der Softwareentwicklung – auch im Gesundheitswesen – ist es, stets den Nutzer der Lösung im Fokus zu behalten. «Im Rahmen einer so genannten Product Discovery finden wir daher gemeinsam mit unseren Kunden heraus, was eine Software im Alltag leisten muss, um den maximalen Nutzen zu stiften», erklärt Dönmez. Oft würden dabei anfängliche Vorstellungen im Zuge der Iterationen in der Entwicklung einer Software über Bord geworfen. «In kleinen Schritten vorwärts zu gehen, das Erreichte immer wieder auf Basis von Tests und Fakten zu hinterfragen und zu korrigieren, ist ein äusserst effektives Qualitäts- und Risiko-Management.»
Martin Kropp
Professor an der FHNW
Denniz Dönmez
Scrum Master bei Swisscom Health
Swisscom beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit der agilen Transformation der eigenen Organisation und agiler Softwareentwicklung für ihre Kunden. Unsere Fachleute geben ihr Wissen in Vorlesungen und Workshops weiter. An der diesjährigen «Lean, Agile and Scrum Conference» am 21./22. Mai in Zürich gibt Stephan Rickauer, Head Development & Operations bei Swisscom Health, Einblicke in diese Reise (22. Mai, 13:30 Uhr, Saal 2). Alles zur LAS-Konferenz gibt’s hier.