Diversity

Ein Schritt zur Seite kann auch einer nach vorne sein

Martin Vögeli arbeitete bereits im Kader der Swisscom, als er plötzlich als alleinerziehender Vater dastand. Der Familienalltag, aber auch kranke Kinder, 13 Wochen Schulferien und der ganz normale Familienwahnsinn mussten von einem Tag auf den anderen mit einem Managementposten vereinbar gemacht werden. Um das zu schaffen, stellte Martin Vögeli mitunter eine Vollzeit-Betreuerin für seine Kinder ein, welche die Zeit abdeckte, in der er beruflich abwesend war. Heute, fast 20 Jahre später, schaut er zurück auf diesen Kraftakt, der ihn seine Karriere anders angehen liess.

Martin Vögeli, Leiter Group Security & Corporate Affairs hat es nicht mit einem Papitag, also mit reduziertem Pensum, in die Konzernleitung geschafft. Er konzipierte sein eigenes Arbeitsmodell. Eines, welches ihm ermöglichte, seine drei Kinder grosszuziehen, seine Exfrau finanziell zu unterstützen und an den Abenden, an den Wochenenden und teils auch in den Ferien ein präsenter Vater zu sein – und trotzdem seinem anspruchsvollen Management-Job gerecht zu werden. Einfach war es nicht, dies gleich vorneweg.

Im Kader und alleinerziehend – da gingen grad zwei Herausforderungen Hand in Hand.

Oh ja. Diese Situation habe ich nie gesucht, sie «passierte» mir. Aufgrund von Faktoren, die ich nicht beeinflussen konnte, musste ich meine Kinder nach der Trennung von meiner damaligen Frau nach knapp einem Jahr Vollzeit zu mir nehmen.

Ich musste ziemlich schnell eine Lösung finden, damit meine Kinder ein stabiles Umfeld haben. Ich zog in die Stadt, damit die Wege kürzer sind und das familiäre Umfeld näher. Und ich stellte eine ausgebildete Kita-Mitarbeiterin an. Das war ein riesiger Kostenblock, den ich mir aber leisten musste und zum Glück auch leisten konnte. Sie hatte in den Anfangsjahren einen sehr langen Arbeitstag, manchmal sogar 12 oder gar 14 Stunden, je nachdem wie ich arbeitete. Aber damals gab es keine Online-Meetings, alles war physisch und ich reiste entsprechend von Ort zu Ort.

Und wie hast du dich bei der Arbeit organisiert?

Ich wusste, dass ich mit meinen fünf Wochen Ferien der Familie nicht gerecht werden konnte. Ich habe einen Weg gesucht, mir mehr Zeitautonomie zu schaffen, damit ich mehr Zeit für die Kinder habe. Denn ich musste ja sicherstellen, dass ich für gewisse Situationen – vom Kindergeburtstag über Notfälle bis hin zu Krankheiten – eine gewisse Flexibilität habe. Also habe ich ein Modell realisiert, das hiess: 90% Lohn, 100% arbeiten, dafür insgesamt neun Wochen Ferien im Jahr.

«Das hat mir die emotionale Freiheit gegeben, aufgrund familiärer Situationen einfach freizunehmen,
ohne mich zu rechtfertigen.»

Aber ich will die Situation im Nachhinein nicht schönreden: In einer Managementposition arbeitet man nicht 42 Stunden. Das entspricht einfach nicht der Realität. Meine Arbeit wurde nicht weniger, nur weil sich meine familiäre Situation komplett änderte - die Arbeit musste gemacht werden – notfalls dann halt abends oder nachts. 

Fakt ist: Ich habe viel um meinen Beruf herumgesteuert. Ich war nie der Familienvater, der mit drei Kindern berufstätig war und einen fixen Papi-Tag hatte. Ebenfalls hatte ich in den ersten Jahren auch kaum Hobbies – da lag nur ganz wenig drin. Ich hatte ein Arbeits- und Betreuungsmodell, die mir beide zusammen einen 100%-Job ermöglichten.

Kader in Teilzeit, das geht also nicht?

Es ist schon möglich, aber es bedingt enorme Disziplin und sehr gute Delegation. Denn für gewisse Dinge hat man die Verantwortung und muss zeitlich flexibel sein. Gleichzeitig braucht es im Arbeitsumfeld auf Stufe Kader Akzeptanz und Verständnis, hier hat sich im Vergleich zur Situation vor 20 Jahren sicher einiges verändert. Auf Stufe Top-Management sind die Herausforderungen noch grösser, Teilzeit ist hier die Ausnahme.

Was waren Deine täglichen Herausforderungen in Sachen «Work» und «Life?» als alleinerziehender Vater?

Das Betreuungssystem zu etablieren, ist das eine. Die Herausforderungen sind unter anderem kranke Kinder, die 13 Wochen Schulferien und wenn ein Kind Probleme in der Schule oder mit Freund*innen hat. Es gab natürlich auch Situationen, da musste ich die Kleine, die nicht zur Schule wollte, trotzdem auf den Schulweg befördern, weil ich selbst auf den Zug rennen musste, um eine Sitzung wahrzunehmen. Das sind die Dinge, die eben auch vorkommen und die dann herausfordernd waren für mich. Andererseits hat mir die intensive Beziehung zu meinen Kindern enorm viel zurückgegeben.

Und trotzdem hast du an deiner Karriere gefeilt?

Ich habe 2006 einen bewussten Familienentscheid gefällt. Eigentlich wollte ich, damals Leiter Risk Management, ins operative Geschäft einsteigen, aber ich merkte: Das geht gar nicht. Wenn man operativ tätig ist, hat man die eigene Agenda von 0 auf 100 voll und ist nicht mehr wirklich flexibel. Ich bekam den Job des Sekretärs des VR angeboten. Der Job war gut positioniert, aber viele rieten ab: «Du bist dann eine One-Man-Show». Oder: «Du arbeitest 100%, verdienst aber mit deinem Teilzeitmodell 10% weniger… Bist du dir dessen auch wirklich bewusst?»

Und? Warst du es dir bewusst?

Ja. Es war ein bewusster und für mich sinnvoller Entscheid. Die Kinder waren dazumal noch viel zu jung, um eine breitere Aufgabe wahrzunehmen, Nach sieben Jahren, als ich Ende 2013 in die erweiterte Geschäftsleitung kam, schaute ich zurück und fragte mich, ob dieses Modell für mich noch Sinn macht. Ich kam zur Erkenntnis: Von den neun Wochen Ferien konnte ich meist nur deren sieben beziehen. Ich hatte also ein riesiges Feriensaldo. Gearbeitet habe ich trotzdem klar über 100%, einfach an den Randzeiten. Denn mein Betreuungsmodell deckte ja «nur» 100% ab.

Ein Karriereknick?

Es war eher ein Seitensprung – um die Herausforderung als alleinerziehender Vater zu managen. Als die Jüngste zehn Jahre alt war, habe ich die Funktion Group Strategy und Board Services übernommen und da ungefähr 110 Leute unter mir gehabt. Es war eine operative Funktion im Konzernstab – relativ fremdgesteuert, was die Agenda anbelangte. Für mich war dies dann ein grosser Sprung in eine breitere Führungsverantwortung.

Back to Unvereinbarkeit?

Diese Änderung war fürs Familiensystem einschneidend. Ich war klar mehr weg als vorher. Der Workload, den ich teils auch nachts abarbeiten musste, war schon wesentlich grösser. Rückblickend war der Schritt für meine Familie wohl zwei Jahre zu früh, solche Chancen kommen aber wohl nie im idealen Zeitpunkt. Wir haben es aber gemeinsam gemeistert. Ein Erfolgsfaktor war sicher auch die gute Organisation der Betreuung meiner Kinder.

Ging es anderen auch so?

Es gab einen Kollegen im oberen Kader, der hatte das gleiche 90%-Modell wie ich. Am Freitagnachmittag war er daheim. Aber abgesehen davon, gab es nichts dergleichen auf Level A-Stufe.

Und heute?

Eine Führungsfunktion beinhaltet trotz allem eine grosse Präsenz. Ab einer gewissen Hierarchie-Stufe ist es schlicht schwierig zu sagen: «Ich arbeite nur vier Tage.»

«Aber schwierig heisst eben nicht unmöglich. Was wir brauchen, ist ein ungeheurer Kulturwandel und eine ebenso ungeheure Organisation, um auf dieser Stufe zu sagen: Ich bin dann freitags nie da. Und natürlich die Akzeptanz, dass ein Manager nicht 24/7 verfügbar sein muss.»

Es braucht also die Unterstützung von Chefs wie dir, damit mehr Väter Familienzeit übernehmen?

Auf jeden Fall. Eine vertretbare Pensumsreduktion bei Fachfunktionen unterstütze ich immer. Ich will den Leuten aber nichts vormachen und sage deshalb immer: «Du musst deinen Job auch im Teilzeitpensum managen. Du musst sagen, wenn es nicht geht.» 

Zudem schauen wir, dass diejenigen, die reduzieren, nicht gleichviel erledigen müssen wie vorher – sonst tappen sie in die 80%-Falle, sie arbeiten gleich viel und verdienen weniger. Die Leute haben ja dann schliesslich acht Stunden weniger Zeit für ihre Arbeit.

Bei Managementpositionen wird es schwieriger?

Ja. Hier ist die Variabilität geringer. Man hat weniger Flexibilität, die eigene Zeit zu steuern. Aber auch hier gilt: Es ist nicht unmöglich. Zudem haben sich die Zeiten auch geändert – man liest immer wie mehr von neuen Karrieremodellen auch auf den oberen Stufen. Es bleibt heute aber immer noch die Ausnahme – die Anforderungen an Top-Management-Funktionen sind hoch.

Bist du ein Vorbild für andere Männer, für andere Väter?

Das kann ich nicht beurteilen, Meine Geschichte zeigt sicher auf, dass auch nach einem bewussten, längeren Side-Step ein weiterer Karriereschritt möglich ist. Dazumal wäre dieser für mich nicht vereinbar mit meiner Familiensituation gewesen.

«Als Arbeitgeberin müssen wir die Balance zwischen Familie und Beruf möglich machen.»

Die jüngeren Generationen drängen auf noch mehr Vereinbarkeit.

Vereinbarkeit ist mittlerweile bei der Generation Y und Z ein absolut zentraler Faktor. Als Arbeitgeberin müssen wir schauen, dass wir die Balance zwischen Familie und Beruf möglich machen können.Das ist in der heutigen Zeit ein Kriterium, um gute, spezialisierte Leute zu bekommen und zu halten.

Und was bedingt das in deinen Augen?

Wir brauchen Vorbilder, die richtigen Rahmenbedingungen und flexible Modelle. Und auch den Mut von Männern, neue Wege zu gehen.

Vereinbarkeitsmassnahmen der Swisscom:

Flexible Arbeitsformen

  • Homeoffice
  • Mobiles Arbeiten in der Schweiz
  • Flexible Arbeitszeiten

Mehr Zeit für Privates

  • Ferienkauf
  • Unbezahlter Urlaub
  • Langzeitkonto
  • Sabbatical (Kader)

Arbeitsmodell

  • Teilzeit (auch auf Probe)
  • Jobsharing

Weiterbildungsangebote

  • 5 Aus- & Weiterbildungstage
  • Health-Angebote (Stressmanagement, Selbstmanagement usw.)
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