Leiter «Schulen ans Internet» zu #digitalistüberall

«Es braucht neue Lehrmittel und neues Denken.»

Digitalisierung ist in aller Munde - nur nicht im Lehrplan. Swisscom springt darum gemeinsam mit Partnern und zwei neuen Lehrmitteln in die Bresche. Die bringen nicht nur das Thema ins Klassenzimmer, sondern auch eine neue Art des Denkens und das könnte in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen. 

Roger Baur, 9. November 2018

Das Lehrmittel heisst #digitalistüberall – und genau das ist es ja auch. Wieso braucht's dann noch ein Lehrmittel?

Für die Schülerinnen und Schüler ist die digitale Welt längst Teil ihres Alltages, ja zunehmend auch ihres Schulalltages. Und da gibt's einen Unterschied zwischen dem, wie sie die Welt sehen – und wie sich die Welt präsentieren wird, sobald sie im Erwerbsleben stehen. Denn die befindet sich eben erst in der Digitalisierung, dem «Digital-werden».

Hätte das folglich aber nicht noch Zeit, bis sie im Erwerbsleben stehen?

Nein, denn ein sinnvoller Teil des neuen Lehrplans ist ja die frühzeitige Erkennung der persönlichen Kompetenzen und Talente. Mit dem Lehrplan 21 ist erstmals auch die Berufswahl ein verpflichtender Teil des Unterrichts. Und da macht es auch Sinn, dass sich die Schüler überlegen: Wie sieht die Welt von morgen aus? Wie sehen die Berufe von morgen aus? Und vor allem: Was muss ich mitbringen in diese Welt?

Warum Swisscom ein Lehrmittel zur Digitalisierung gemacht hat, erläutert der Jugendmedienschutz-Beauftragte Michael In Albon im Video. Video Gesamtlänge 03:59 Min.

Geht's also auch um die Fachkräfte der Zukunft?

Genau, denn wir werden jede Einzelne und jeden Einzelnen brauchen. Ich will nicht schwarzmalen – aber wenn ich sehe, dass die erste Generation Informatiker nun schon bald in Rente geht, wird mir schon etwas mulmig.

Aber nicht jeder Schüler kann und will Informatiker werden.

Das ist eine flache Annahme. Es geht nicht darum, Informatiker bereits in der Primarschule zu rekrutieren. Die Schreinerin, der Sanitär und die Kauffrau werden ebenso ein vollends neues Berufsbild antreffen. Der Sanitär von heute kann es sich noch knapp leisten, dass man ihn nur im regionalen Branchenbuch unter dem Suchbegriff «Sanitär-Installateur» findet.

«2 von 3 Kindern werden in Berufen arbeiten, die es heute noch gar nicht gibt.»

Sein Nachfolger hingegen wird wissen müssen, dass er seiner Website den Suchbegriff «WC verstopft» hinterlegen muss – weil ihm sonst der überregionale Expressanbieter alle Kunden abschöpfen wird. Und der Kaufmann von morgen muss sich bewusst sein, dass soziale oder kreative Skills wieder an Bedeutung gewinnen – und vielleicht das akkurate Abtippen von Rechnungen etwas weniger wichtig wird.

Thematisiert denn die Schule heute solche Entwicklungen noch nicht?

Die Schule von heute befindet sich in einer historischen Transformationsphase: Man hat nun den Auftrag, die Fächer, teilweise auch die nötigen Geräte beschafft – doch bis es ein Thema über die Weiterbildungen der Lehrer ins Klassenzimmer schafft, ist es oft schon veraltet. Ein Beispiel: Facebook. Bei den Lehrern ist es jetzt angekommen – bei den Schülern aber schon vorbei.

Was macht nun dieses Lehrmittel anders, damit es up to date bleibt?

Wir geben zuerst Einblicke in konkrete Anwendungsbereiche, die es heute, jetzt gibt: Die Schüler erfahren in kurzen Clips, wie beispielsweise die Digitalisierung in Zukunft den Arzt bei der Diagnose oder den Bauern beim Düngen unterstützen wird. So vermitteln wir mit konkreten Beispielen die theoretischen Grundlagen – auf deren Basis sie dann eigene Ideen entwickeln und der Klasse vorstellen. Das wiederum führt natürlich zu Diskussionen und Fragen, die sie gemeinsam diskutieren. Speziell für den Digitaltag taten sie dies übrigens im grössten Klassenzimmer der Schweiz, in einem Live-Videochat mit verschiedenen Experten. Es bleibt ja nicht das einzige Lehrmittel: Mit der «Computational Thinking Initiative» lancieren wir mit digitalswitzerland, der SUPSI in Lugano und der EPFL ein weiteres Projekt, das sich auch an Schulen richtet. 

Was ist da der Unterschied?

Die beiden Angebote ergänzen sich. #digitalistüberall liefert eine Basis. Hier geht es um die Digitalisierung im Allgemeinen. Die Computational Thinking Initiative mit dem Roboter «Thymio» befasst sich dann spielerisch mit der Robotik und vor allem mit «Computational Thinking». Das ist vereinfacht gesagt die Fähigkeit, einen Computer so zu programmieren, dass er ein Problem lösen kann und eben nicht – wie das vor allem in der Vergangenheit passierte – durch komplexe Abläufe neue Probleme produziert. «Thymio» setzt dieses Denken dann auch noch konkret in den Zusammenhang mit Robotik, in der diese Art des Denkens dann nochmals eine spezielle Bedeutung erhält.

Der kleine Roboter Thymio hat ganz spezielle Fähigkeiten: Er kann Code visualisieren. Er macht Computersprache für Kinder erlebbar und damit verständlich.

Und da geht's dann konkret auch um Fachkräfte.

Ja, denn da geht's um ein Berufsfeld, das dann tatsächlich für diese Generation eine riesige Chance ist – das aber heute erst im Aufbau ist und daher noch kaum wahrgenommen wird in der beruflichen Orientierung. Also versuchen wir ganz einfach, dass sich zumindest die Talente auf diesem Gebiet frühzeitig selbst erkennen.

Du bist auch als Leiter von «Schulen ans Internet» regelmässig in Schulen unterwegs. Was ist dein persönlicher Eindruck: Wird unser Bildungssystem mit diesen Veränderungen klarkommen?

Ich denke, dass wir im internationalen Vergleich die besten Voraussetzungen hätten. Verschiedene Faktoren wie die Praxisorientierung, die frühzeitige Modernisierung der Lehrpläne und Schulen – auch mit unserer bescheidenen Unterstützung – zahlt sich nun zunehmend aus. Die grosse Herausforderung wird sein, dass Schulen und Lehrpersonen die nahenden Veränderungen schneller aufnehmen und gegebenenfalls in den Unterricht oder in die Interaktion mit Schüler und Eltern integrieren können. Da braucht es bei den Lehrerinnen und Lehrern mehr Offenheit für Neues und eine Abkehr von der Vorstellung, dass der Schulstoff in ihrem Fach bis zur Pensionierung unverändert bleibe. Das gilt weder für den Sport-, noch den Französisch-Unterricht und schon gar nicht für Mathe. Die Schule hat auch gar keine andere Wahl, wenn man bedenkt, dass 2 von 3 Kindern, die heute neu eingeschult werden, dereinst in Berufen arbeiten werden, die es noch gar nicht gibt.

Lerneinheit #digitalistüberall

Digital ist überall – digitale Technologien sind längst in Alltag und Beruf angekommen. Schülerinnen und Schüler sollten deshalb das Potential der neuen Technologien nutzen können und deren Zusammenspiel mit der Gesellschaft verstehen. Diese kostenlose Lerneinheit bietet Lehrpersonen die Möglichkeit, das spannende Thema «Digitalisierung» nach Lehrplan 21 stufengerecht und praxisnah im Unterricht aufzugreifen.



Zur Person

Michael In Albon leitet «Schulen ans Internet» und ist Jugendmedienschutz-Beauftragter sowie Medienkompetenz-Experte.